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Patrick Findeis SCHNEEWALZER

Mit: Pippa Galli, Heinz-Josef Braun, Thomas Huber
Ton & Technik: Daniel Senger & Sonja Röder
Regieassistenz: Kristina Huch
Länge: 71:27 min
Dramaturgie: Andrea Oetzmann
Regie: Kai Grehn
Eine Produktion des SWR 2013
 

LENA: Hinter ihren Fenstern in den staubfreien Wohnzimmern stehen sie und glotzen zu uns rüber, während der Abend kommt und vom Fluss hinter unserem Haus Schwärme von Schnaken aufsteigen und tanzen in der untergehenden Sonne.

Ein heißer, langanhaltender Sommer lähmt das Leben in Goldshof, als die Nachricht von der Entführung der Unternehmergattin Victoria Schenk ihre Kreise zieht. Die Geldübergabe läuft schief, die Polizei tappt im Dunkeln. Victoria bleibt verschwunden, bis schließlich nach Wochen ihre Leiche entdeckt wird. In der Nachbarschaft beginnen sich Erzählungen über die Vergangenheit des Opfers und ihrer Familie mit Vermutungen und Verleumdungen zu vermischen. Mit jeder neuen Zeitungsmeldung laufen die Geschäfte von Klaus Schenk schlechter, und schon bald führen er und seine Tochter Lena einen Kampf an mehreren Fronten ohne Verbündete. Während beide ins Fadenkreuz der Ermittlungen geraten, wanken Lenas Gewissheiten, und sie beginnt, ihre Erinnerungen zu hinterfragen. War die Ehe ihrer Eltern in Wirklichkeit gar nicht so glücklich, wie sie immer gedacht hatte?
»Schneewalzer« spürt in den Gedanken und Stimmen der Protagonisten einem schleichenden Prozess nach, in dem Opfer von ihrem Umfeld und der Polizei zu Tätern gemacht werden. Das Private wird öffentlich und zu jedermanns Interpretation freigegeben. Die Akteure sehen sich abwechselnd ihrer Macht und Machtlosigkeit ausgesetzt, sie klagen an und verteidigen – sie wollen gehört werden.
 

Brutal und süffisant

„(…) präsentierte der SWR mit „Schneewalzer“, dem zweiten Hörspiel also aus der Feder von Patrick Findeis, eine überaus spannende und packende Sozial- und Kriminalstudie, die sich zudem mit dem selten gewordenen Untertitel „Originalhörspiel“ schmücken könnte. Schon in der kurzen einminütigen Exposition vor der Titelansage knistert und flackert es: Eine überdrehte Frauenstimme kichert und lacht ohne erkenntlichen Grund wie irr in den Hörraum; auf einem ungestimmten Klavier perlen die Töne auf und ab; eine junge fragende Frauenstimme ruft ein kurzes „Mama?“ – und das Hörspiel legt los. Dieser Beginn ist ein akustisch spannender Einfall, der sicher Regisseur Kai Grehn zu danken ist.
Wie auch in „Kein schöner Land“ ist die Stimmung düster und melancholisch. Die Unternehmergattin Victoria Schenk ist offensichtlich entführt worden, ihre Stimme wird nie zu hören sein. Tochter Lena Schenk (Pippa Galli) sucht nach der Entführten zusammen mit dem bigotten und kleinkarierten Dorfpolizisten Georg Banzaf (Heinz-Josef Braun) und gerät dabei mit dem Vater (Thomas Huber) in den Sog polizeilicher Verdächtigungen und Mutmaßungen. Das ist von Patrick Findeis wunderbar langsam, aber auch überzeugend erzählt und von Kai Grehn mit langsamen Tempi in Szene gesetzt.
In „Schneewalzer“ wird ein unbestimmter ländlicher Raum zwischen Stuttgart und Bayern aller Romantik entkleidet und verdichtet sich zu einer Spielfläche, auf der in Ermangelung von Indizien auch ein brüchiges Familienleben hinterfragt wird. Nicht nur die Leiche der Mutter wird gefunden, auch der glücklose Vater wird aus dem Leben scheiden und eine suchende und fragende Tochter hinterlassen, für die der nahe, unaufhörlich plätschernde Fluss eine weitere angstbesetzte Signatur zu sein scheint. “

(Christian Hörburger, Funkkorrespondenz, 14.06.2013)

„Kai Grehn inszenierte für den SWR dieses leise Hörspiel mit wenig Geräuschen und noch weniger Musik. Die anklagenden und verteidigenden Monologe der Beteiligten sind hier das Maß der Dinge, alles andere ist nur Beiwerk. Man registriert die Geräusche oftmals erst, wenn sie abrupt abgeschnitten werden, so sehr ist das Hörspiel auf den Text fixiert.
Dementsprechend viel Gewicht liegt auf den drei Hauptsprechern Pippa Galli, Heinz-Josef Braun und Thomas Huber, die ihre Rollen exzellent an den Hörer zu tragen vermögen.
„Schneewalzer“ zieht den Hörer auf eine leise, eindringliche Weise in seinen Bann und ist ein sehr untypischer Krimi, der nicht die Auflösung oder den Tathergang zu seinem Thema macht, sondern die Kollateralschäden, die mit dem Verbrechen einhergehen – hörenswert!.“

(Stephanie Pelzer-Bartosch, www.hoerspatz.de, 11.06.2013)