DIE KÜNSTLICHEN PARADIESE – Interview
Bezauberung durch die Poesie Baudelaires
Kai Grehn über DIE KÜNSTLICHEN PARADIESE
Janine Lüttmann: Was gab den Anstoß, ein Hörspiel aus den künstlichen Paradiesen zu machen?
Kai Grehn: Das Prosagedicht ‚Enivrez-vous’ (Berauschet Euch) zählt neben ‚L’Étranger’ (Der Fremde) zu meinen Lieblingsgedichten von Charles Baudelaire. Ausgangspunkt für dieses Projekt war die Idee, unterschiedliche Interpretationen von ‚Enivrez-vous’ zum Herzstück einer Hörspielarbeit zu machen, eingebettet in Baudelaires Essay „Die künstlichen Paradiese“.
J.L.: Wie haben Sie sich dem Stück genähert, was waren Ihre ersten Überlegungen?
K.G.: Ich habe Baudelaires Essay für den Schauspieler Alexander Fehling und 12 Musiker adaptiert. Der Ansatz hierbei war, „Die künstlichen Paradiese“ zu erweitern und zu strukturieren durch 12 Songs und Kompositionen, die allesamt auf Baudelaires Prosagedicht ‚Enivrez-vous’ basieren.
Ausgewählten Bands, Musikerinnen und Musiker wurde hierfür Baudelaires Prosagedicht zugesandt, mit der Bitte, sich inspirieren zu lassen von dem Text für ein Musikstück. Das Gedicht selber konnte in französischer Sprache bzw. in einer englischen oder deutschsprachigen Übersetzung verwendet werden, in ganzer Länge oder auszugsweise, als Nach- oder Neudichtung. Auch eine komplett instrumentale Komposition war denkbar. Was zählte, war allein die Inspiration durch Baudelaires Zeilen.
J.L.: Der Essay von Baudelaire ist im Original wesentlich länger als von Ihnen verwendet. Nach welchen Überlegungen haben Sie den Text eingerichtet?
K.G.: Baudelaire hat seinen Essay 1860 verfasst. Zu dieser Zeit war Haschisch in Europa eine Droge, die ein Schleier des Exotischen und Unbekannten umgab. Baudelaires Essay trägt diesem Umstand Rechnung. Heute, 150 Jahre später, bedarf es meines Erachtens vieler dieser Ausführungen nicht mehr, da sie Allgemeinwissen geworden sind. Zudem war mir wichtig, den Text auf jene Passagen zu fokussieren, die über den Haschisch-Rausch hinaus universelle Überlegungen zum Thema Rausch, zur Fähigkeit und Bereitschaft des Menschen zum Ausnahmezustand des Geistes und der Sinne beinhalten.
J.L.: Hat man als Regisseur das Gefühl, dass die Baudelairesche Sprache in ihrer Intensität einen bestimmten Stil fordert, dem sich der Regisseur ergeben muss?
K.G.: Brauchen die Leidenschaft oder der Rausch einen bestimmten Stil, dem es sich unterzuordnen gilt? Das Gegenteil, glaube ich, ist der Fall. Für die Hörspielarbeit bedeutet das, dass die Baudelairesche Sprache in ihm mindestens ebenso viele verschiedene Ausdrucksformen findet, wie Musiker und Künstler an dem Projekt beteiligt sind.
Was die konkrete Arbeit mit Alexander Fehling betrifft, so haben wir in über zehn Fassungen „Die Künstlichen Paradiese“ aufgenommen, um aus diesen unterschiedlichen Interpretationen die Hörspielfassung montieren zu können.
J.L.: Nach welchen Kriterien wurden die Bands ausgewählt?
K.G.: Mein Wunsch war es, ein möglichst breites Spektrum musikalischer Formen, Farben und Klänge im Hörspiel zu vereinen, ein Spektrum, in dem die drei zur Auswahl stehenden Gesangssprachen und auch Instrumentalversionen in einem relativen Gleichgewicht vertreten sind. Eine sublime Auswahl, in der alle 12 Songs sowohl solo, als auch als dramaturgische Mosaiksteine fungieren, die in ihrem Zusammenspiel ein unberechenbares 13. Ganzes ergeben.
Wir sind deshalb nach einer Art Pyramidenbauprinzip vorgegangen und haben immer nur zwei, drei Bands und Musiker gleichzeitig angefragt. Dann hieß es abwarten, nachfragen und wieder abwarten, wer zusagt und wer absagt, um abhängig davon eine Auswahl für die nächsten zwei, drei Anfragen zu treffen usw. usf.
J.L.: Wie war die Reaktion der Künstler auf Baudelaire – haben sie mit dem Schriftsteller oder seinem Werk etwas verbunden?
K.G.: Wie bei den meisten Formen des Rausches, so gab es auch bei dieser Hörspielproduktion eine Schattenseite. Für jeden Song, jede Komposition, die die Musiker im eigenen oder angemieteten Studio produziert haben, stand für die Ausstrahlung und Veröffentlichung ein derart geringes Honorar zur Verfügung, das es richtiger wohl als Unkostenbeitrag zu bezeichnen wäre. Eingedenk dessen gab es – außer einem Grundvertrauen in die Idee dieser Hörspielarbeit – eigentlich nur ein Argument, sich an dem Projekt zu beteiligen: Bezauberung durch die Poesie Baudelaires.
J.L.: Baudelaire hat versucht, die Welt von allen Seiten zu beleuchten, hat sich das Schöne und das Schreckliche angesehen, versucht, sich der Ennui entgegenzustellen. Durch Literatur, Exzesse und Drogen. Ist das ein Ansatz, den man heute auch empfehlen könnte oder einer, der nur aus der Zeit heraus verstanden funktioniert?
K.G.: Lassen Sie mich die Frage mit einer Zeile Baudelaires beantworten: „Der gesunde Verstand sagt uns, dass die Dinge der Erde nur sehr wenig Realität besitzen und dass es Wirklichkeit einzig in den Träumen gibt. Um das natürliche wie das künstliche Glück zu verdauen, braucht es zunächst einmal den Mut, es hinunterzuschlucken; und die, die vielleicht das Glück verdienten, auf sie hat die Glückseligkeit – so wie die Sterblichen sie verstehen – von jeher als Brechmittel nur gewirkt.“
J.L.: Hat sich das Rauschhafte des Textes auch in der Arbeit widergespiegelt?
K.G.: Für das Projekt war es mehr oder minder unerlässlich. Die Arbeit an dem Hörspiel hat sich über zwei Jahre hingestreckt.
J.L.: Jetzt, wo das Stück fast fertig ist, woran können Sie sich beim Hören am meisten erfreuen?
K.G.: Dass es uns, den Schauspielern und Musikern, dem gesamten Hörspielteam geglückt ist, ein akustisches und musikalisches Fest für und mit Baudelaires Texten zu zelebrieren. Und das die Hörer zu diesem Fest nun geladen sind, um sich zu Berauschen an seiner Poesie.