burroughs

William S. Burroughs THE RETREAT DIARIES. TAGEBUCH EINES RÜCKZUGS

Hörspiel nach dem gleichnamigen Buch

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Kai Grehn
Sprecher: Hans-Peter Hallwachs, Harvey Friedmann, Tom Strauss
Musik: Kai-Uwe Kohlschmidt & alva noto
Ton & Technik: Z.A.P.
Mischung im LoFi-Studio
Länge: 49 min
Dramaturgie: Andrea Otte
Hörspielfassung & Regie: Kai Grehn
Eine Produktion des SWR 2003
Hörbuch-CD | edition GALERIE VEVAIS 2005 | 17,90 Euro | ISBN 3-936165-86-6

  • Nominierung Deutscher Hörbuchpreis 2006 (Das besondere Hörbuch)
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    BURROUGHS: Als Schriftsteller beschäftige ich mich mit Wörtern. Je mehr Charaktere und Schauplätze sich von selbst entwickeln, um so wertvoller sind sie für künstlerische Vorhaben. Wenn ich lesen und nicht schreiben würde, ich wäre im wahrsten Sinne des Wortes aus meinem Körper herausgetreten und inmitten meiner Schauplätze und Charaktere, wie jener Maler, der sich dreimal verneigte und in seinem Bild verschwand. Eine grundlegende Veränderung im Bewußtsein ist notwendig. Flickwerk wird da nicht helfen. Niemand, der in seinem Körper hockt, ist ohne Ego. Was ist die Natur dieses drastischen Schritts ins Unbekannte? Wie Korzybski sagte: »Ich weiß es nicht. Sehen wir es uns an.«

    1975 zog sich William S. Burroughs auf ein Anwesen in Vermont zurück, um Träume und Ideen für seine schriftstellerische Arbeit zu notieren. Was entstand, war ein originelles Traumtagebuch, das Einblick gewährte in Burroughs’ Methode des „zufälligen“ Schreibens. Ende der Fünfziger Jahre hatte er die sogenannte Cut-up-Methode entdeckt, welche die Technik der Montage auf das Schreiben übertrug: Texte, eigene oder fremde, wurden zerschnitten und zufällig zusammengesetzt – ein Verfahren, das Burroughs zufolge den Gesetzen der Wahrnehmung entspricht und das Unbewusste zutage bringt. Fasst man Träume als Sprache des Unbewussten auf, scheint es konsequent, dass nicht wenige der Figuren und Schauplätze in Burroughs’ Werken auf das Material seiner Träume zurückgehen. Das Traumtagebuch von 1975 ist jedoch mehr als ein Steinbruch, denn auch das Traummaterial wird dem Cut-up unterzogen:
    Das Hörspiel ist ein Versuch, Werkstatt und Traummaterial des Schriftstellers sinnlich erfahrbar zu machen. Burroughs’ Überlegungen zum unbewussten Schreiben, zur „Auslöschung der Wörter“ als Möglichkeit freier Assoziation und Dichtung, finden im Hörspiel ihre musikalische Entsprechung: es sind nicht nur die Wörter, die erzählen, Geräusche und Musik fördern das Unbewusste – die Sprache der Träume – zu Tage. Die Hörräume wollen die Semantik der Wörter nicht illustrieren, sondern als eigenständiges Element eine weitere Deutungsebene eröffnen – dem Gesetz entsprechend, dass die Traumstimmung nicht der Traumhandlung korrespondieren muss.
     

    Im Delirium

    „Grehn folgt der Traumstruktur, den wilden Assoziationen des Autors, der sich im Jahr 1982 nach seinen New Yorker Jahren in eine Art Einsiedelei in Lawrence, Kansas, begab. Figuren, Begebenheiten wie der Tod Francos 1975, Drogenerfahrungen und Meditationsbeschreibungen bettet er in einen Soundtrack, der wie ein halluzinogen entfesseltes Radioprogramm wirkt. Flamenco-Akkorde rasseln hinüber in wirre Soap-Operas, Jazzpartikel schwirren umher, Rock ’n Roll tönt auf: So wie Burroughs durch die Jahre driftet, läßt sich Grehn von deren Sounds treiben. Entrückt, mit schwerer Zunge liest Hans-Peter Hallwachs dazu aus den Tagebüchern eines Rückzugs, der keineswegs ein Rückzug aus der Welt ist. Wir folgen vielmehr einem Schriftsteller in die Welt seines eigenen Kopfes, in dem ein Film abläuft, der im Radio hörbar wird.“
    (Frank Olert, FZ, 29.07.2003)

    „»Tagebuch eines Rückzugs« basiert auf William S. Burroughs‘ »The Retreat Diaries«, dem Traumtagebuch von 1974. Konzipiert als eine Art Hörfilm, vom SWR produziert, ist es so schräg wie Burroughs. Keine leichte, aber coole Kost.“
    (Matthias Penzel, Rolling Stone, 05/2005)

    „»Ich benutze Meditations-Techniken, um Material zum Schreiben zu erlangen. Irgendein abstraktes Nirwana interessiert mich nicht.« – Selbstbetrachtung auf seine Arbeit bezogen ist dies, das Einflechten von Traumsequenzen, die Burroughs‘ Lebens und Schreibwelt erklären, elektronische Beeps aus der Intensivstation, bedrohlich und klinisch kalt; suggestive Trancemusik, den Rausch simulierend. Ein Delirium ohne Vorher und Nachher, bei dem jedes Wort jeder Ton einen Aspekt des Schriftstellers ausleuchtet. Kai Grehn macht dessen Universum verständlich, indem er es am Leben erhält und erweist sich dabei als brillanter Übersetzer, der die Möglichkeiten des Hörspiels zu nutzen weiß.“
    (Hans- Joachim Graubner, Stuttgarter Zeitung, 04.08.2003)