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Ingmar Bergman FISCH

Hörspiel nach der gleichnamigen Farce für den Film

Übersetzung aus dem Schwedischen: Renata Bleibtreu
Mit: Andreas Schmidt, Dagmar Manzel, Dieter Mann, Karina Plachetka, Alexander Fehling, Vincent Leittersdorf, Hanns Jörg Krumpholz, Heinz Schimmelpfennig
Komposition: Tilman Fürstenau & Kai-Uwe Kohlschmidt
Gesang: Dagmar Manzel
Geräusche: Martin Langenbach
Ton & Technik: Daniel Senger & Sonja Röder
Regieassistenz: Nicole Paulsen
Länge: 84 min
Dramaturgie: Frank Halbig
Hörspielbearbeitung & Regie: Kai Grehn
Eine Produktion des SWR mit DKultur 2008
Hörbuch-CD als Bonus in der DVD-Box „Szenen einer Ehe/ Sarabande“ | Arthaus Premium | 32,00 Euro | EAN: 4006680044712
 

JOAKIM: Was ich mir am meisten wünsche, ist Schlaf, stille Ruh in trautem Dunkel. Am liebsten wäre ich ein Fötus, läge ewig ungeboren in einem Frauenschoß, zur Ruh gewiegt und sanft geschaukelt im Bauche eines großen, warmen Weibchens. Vielleicht spreche ich eines Tages mit meinem Freund, dem faulen Fisch, über diesen insgeheimen Wunsch. Vermutlich wird er ihn mir nicht erfüllen.

Bei der Sichtung alter Manuskripte für die Herausgabe einer Sammlung von Texten Ingmar Bergmans tauchte er plötzlich wieder auf: FISCH. FARCE FÜR DEN FILM. Bergman hatte das Vorhandensein dieses nicht realisierten Drehbuches bereits vergessen. Beim amüsierten, etwas entsetzten Wiederlesen seines Manuskriptes stellten sich bruchstückhaft die Erinnerungen ein: FISCH entstand im Spätherbst 1950 im Eiltempo, innerhalb von einer Woche. Ingmar Bergmans Situation war zu diesem Zeitpunkt, gelinde gesagt, prekär. Er war zweiunddreißig Jahre alt, hatte zwei Ehen hinter sich und war auf dem besten Weg in eine dritte. Seine Hauptbeschäftigung bestand im Frisieren fremder Drehbücher und seine finanzielle Situation, auf Grund beträchtlicher Unterhaltszahlungen an diverse Verlassene, konnte getrost als Katastrophe bezeichnet werden. In dieser Situation trat ein Produzent an Ingmar Bergman heran und forderte ihn auf, etwas Lustiges zu schreiben. „Du kannst doch lustig sein, wenn du dir nur Mühe gibst!“ Bergman gab sich Mühe und es entstand FISCH. FARCE FÜR DEN FILM. Ein abgrundtief komisches, zwischen Expressionismus und Surrealismus wandelndes, vielleicht Bergmans verspieltestes Drehbuch, das die letzten Monate im Leben des Regisseurs und Schöpfers Kinematographischer Bilder Joakim Nakens erzählt.
„Wie ich mir einbilden konnte,“ schrieb Ingmar Bergman 1998, „daß normal geartete Produzenten an meinem Fisch anbeißen würden, ist mir ein Rätsel. Versorgungsneurose, Verzweiflung und Magengeschwür haben eben ihre eigenen Gesetze. Und ihre eigene Verdunklung.“
 

Ein ganz starkes Hörspiel

„Man darf Kai Grehn hier wohl schon deshalb als Koautor nennen, weil er in dem skurrilen Drehbuch, das der Filmemacher Ingmar Bergman 1950 schrieb, das jedoch in dieser Form nicht realisierbar war, einen Hörspielstoff erkannte. Das intensiv psychologisierende Märchen eines Ehedramas (das von Bergman selbst eben) überschritt in einigen Szenen die visuelle Darstellbarkeit und verlangte nach den Möglichkeiten des „Kopfkinos“.
Wirklich hörenswert ist aber erst, wie Grehn dieser Vorlage, jener also der filmischen Erzähltechnik – der Sukzession von Bildern –, verpflichtet bleibt und sie schließlich in Hörbares auflöst. Äußerst kunstvoll verschränkt er dabei drei Erzählebenen: den auktorialen Rahmen, in dem Ingmar Bergman selbst als Erzähler einer „Filmgeschichte“ (im Doppelsinn) von Dieter Mann gesprochen wird, dann die Ich-Erzählung des fiktiven, von Andreas Schmidt gesprochenen Filmpioniers Joakim Nakens („naken“, schwedisch für „nackt“) und schließlich jene märchenhaften Einschübe, in denen sich die Erlebnisse Joakims in „kinematographische Visionen“ auflösen. Letzteres ist wohl als shakespearehafte Verschachtelung von Film im Film zu deuten. Mit Hilfe musikalischer Motive und akustischer Räume trennt Grehn diese drei Ebenen, macht sie zunächst transparent. An entscheidenden Stellen tauscht er die Hörkulissen, die er so der jeweiligen Sprecherstimme zugeordnet hat, jedoch aus. Auf diese Weise erzählen auch Musik (Tilmann Fürstenau, Kai-Uwe Kohlschmidt) und Geräusche (Martin Langenbach) etwas, nämlich von einem komplexen Spiel der Selbstreferenz – und darin von den Versteckspielen der Psyche.
Das ist so gut gemacht, dass es spontan an einen anderen Filmemacher erinnert, der zum Hörfunk fand – an Max Ophüls, der Goethes „Novelle“ für das Radio inszenierte. Nicht nur, weil beide Stücke in einem tieferen, formalen Sinn zu „Hörfilmen“ gerieten, indem sie Visuell-Szenisches akustisch „vor Augen führen“. Nein, vor allem, weil auch im Zentrum von „Fisch“ eine „unerhörte Begebenheit“ steht, die der düsteren Unterbewusstseins-Metaphorik der Romantik entspringt. Joakim öffnet einen Brunnenschacht unter dem Bretterboden seines Filmstudios und angelt dort im „schwarzen, schäumenden Wasser“ einen Fisch, der ihm drei Wünsche erfüllen will. Dass sich Joakim dann die Untreue seiner Ehefrau (Dagmar Manzel) wünscht, um einer zur Farce geratenen Beziehung zu entfliehen, die er aus nostalgischer Liebe nicht selbst zu beenden vermag – das ist wieder „original“ Bergman.
Auch wenn die Handlung hier und da schwächeln mag und das „Psychologisieren der Liebe“ seine Ermüdungsmomente hat, kann man sich kaum satt hören. Einerseits, weil Bergman sein filmisches „Programm“ hier in nuce und mit beeindruckender Selbstironie offenlegt. Andererseits, weil sich die dichten akustischen Bilder, die Grehn nach Bergmans Drehbuch inszeniert hat, so wohltuend von der Substanzlosigkeit vieler Klangtapeten abheben. Das ist ein ganz starkes Hörspiel, eine Demonstration der Möglichkeiten des Radios. Denn es führt geradezu exemplarisch vor, dass man, um Menschen nackt zu sehen, nicht unbedingt die Augen braucht.“

(Markus Collalti, Funkkorrespondenz, 29.08.2008)