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Foto © Hanna Lippmann

Die Geschichte vom Franz Biberkopf – Interview

Biberkopf, unzensiert

Zu seiner Neuproduktion von Alfred Döblins Hörspiel ein Interview mit Regisseur Kai Grehn
von Frank Ohlert

 

In der Frühzeit des Rundfunks war er einer der ersten Autoren, die sich dem neuen Medium zuwandten. „Die lebende Sprache ist in ungenügender Weise in die geschriebene eingedrungen“, konstatierte Alfred Döblin im Jahr 1929 und hoffte, dass der Rundfunk „eine spezifische volkstümliche Rundfunkkunst, eine besondere große, interessante Kunstgattung“ ermöglichen werde. Den Anfang machte er gleich selbst. Noch bevor sein epochemachendes Hauptwerk, „Berlin Alexanderplatz“ in gedruckter Fassung erschien, entwickelte er aus seinem Roman ein Hörspiel, „Die Geschichte vom Franz Biberkopf“. Die Hauptrolle sprach Heinrich George.
Doch ins Radio kam diese frühe Pioniertat Döblins erst rund zwanzig Jahre später. Vierzehn Tage vor der geplanten Ursendung am 30. September 1930 hatten die Nationalsozialisten bei der Reichstagswahl einen erdrutschartigen Stimmengewinn verbucht. Döblin, für die Nazis der Prototyp des „jüdisch-bolschewistischen Asphaltliteraten“, erschien den Herren vom Politischen Überwachungsausschuss der Berliner Funkstunde nicht mehr als sendefähig. Vier Stunden vor der angekündigten Ausstrahlung wurde die Sendung abgesetzt.
Ohnehin war für die auf Schallplatte erhaltene Aufnahme Döblins Manuskript empfindlich zusammengestrichen worden, teils aus ästhetischen, teils aber wohl auch aus politischen Gründen. So erschienen manche Sätze des Hörspiels möglicherweise als allzu visionär, zum Beispiel die Feststellung: „Das stößt Deutschland noch tiefer ins Elend, wo es schon drin ist.“
Anlässlich von Döblins 50. Todestag hat der Südwestrundfunk in Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk, dem RBB und dem Patmos-Verlag den Regisseur Kai Grehn beauftragt, Döblins Manuskript neu zu produzieren – ohne Streichungen.

Frank Olbert: Herr Grehn, Alfred Döblin sagte vor fast 80 Jahren über sein Hörspielmanuskript, vieles sei „im Funkhaus kaum darzustellen“. Wie sieht das heute aus?

Kai Grehn: Das war einer der Gründe, das Stück fast achtzig Jahre später noch einmal neu zu inszenieren und den Versuch zu wagen, das, was Döblin an Ideen und akustischen Visionen in seinem Manuskript manifestiert hat, mit den technischen Mitteln des 21. Jahrhunderts umzusetzen. Ein großer Vorteil ist sicher, dass wir jetzt nicht mehr auf Monophonie zurückgreifen müssen. Außerdem wurden Szenen wie die Ausrufer am Rosenthaler Platz damals nur im Funkhaus aufgenommen. Wir sind im Vorfeld der Produktion losgezogen und haben in Berlin an den Originalschauplätzen wie Alexanderplatz oder Rosenthaler Platz, die Döblin im Manuskript vorgegeben hat, Geräusche gesammelt.

F.O.: Aber in den letzten 77 Jahren haben sich diese Plätze doch nicht nur architektonisch, sondern auch vom akustischen Umfeld sehr verändert. Es herrscht jetzt zum Beispiel sehr viel mehr Verkehr.

K.G.: Sicher, aber die Idee der Neuinszenierung ist, die Geschichte ins heutige Berlin zu verlegen. Das hat mit einem weiteren Grund zu tun, weshalb wir das Stück fast achtzig Jahre später nochmal neu inszeniert haben: die ungeheure Modernität des Textes. Dieser überlebensanarchische Impuls gegen die Ordnung, der in dem Stück innewohnt, ist heute aktuell wie eh und je. Biberkopf steht schon wieder oder noch immer auf dem Alex. Es hat sich nichts geändert, nicht für Menschen wie Biberkopf.

F.O.: Sie verwenden sehr viel mehr Musik, als das Max Bing im Jahr 1930 getan hat.

K.G.: Ein inszenatorischer Ansatz war, das, was von Döblin im Skript in großen Teilen schon fixiert wurde, also gesangsartige Passagen, Balladenelemente, Songs, Moritatenlieder noch auszubauen und der Inszenierung einen balladesken Charakter zu geben.
F.O.: Woher stammen die musikalischen Passagen und die Songs?

K.G.: Die Band Tarwater und Kai-Uwe Kohlschmidt haben die Musik komponiert, wobei alle konkreten Lied-Vorschläge von Döblin übernommen und zeitgemäße Coverversionen davon eingespielt wurden. Tarwater beispielsweise haben aus dem alten Schlager „Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren“ ein englischsprachiges Popstück gemacht. Und ihre Coverversion von „Wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren“ singt Jule Böwe in russischer Sprache. Ich wollte die Geschichte Berlins in die Inszenierung mit einfließen lassen. Das muss nicht explizit wahrgenommen werden, aber es soll Verweise geben auf Berliner Geschichte, die inzwischen stattgefunden hat.

(DLF Hörspielkalender, 19.05.2007)