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DIE WORTE DER MONELLE – Interview

Rauschmittel Poesie

„Schluss mit dem Gottesgericht“ von Antonin Artaud war die erste Arbeit, die Kai Grehn mit Mitgliedern der Band Sandow im Auftrag des SFB produziert hat. Jetzt folgten „Die Worte der Monelle“ nach einer Erzählung des französischen Autors Marcel Schwob. Lutz Volke sprach darüber mit dem Bearbeiter und Regisseur Kai Grehn.

Lutz Volke: „Das Buch der Monelle“ von Marcel Schwob zählt nicht gerade zu den bekannten Büchern im deutschen Sprachraum. Wie sind Sie darauf gestoßen, Kai Grehn?

Kai Grehn: Ich habe das Buch, einen kleinen Inselband, vor zehn, elf Jahren von einer Freundin geschenkt bekommen, und es wurde für mich ein sehr wichtiges Buch. Mir fällt dazu der Anfang eines Textes von Baudelaire, „Berauschet euch“, ein: „Man muss immer trunken sein. Das ist alles: die einzige Lösung. Um nicht das furchtbare Joch der Zeit zu fühlen, das eure Schultern zerbricht und euch zur Erde beugt, müsst ihr euch berauschen, zügellos. Doch womit? Mit Wein, mit Poesie oder mit Tugend, womit ihr wollt. Aber berauschet euch!“ Ich erwähne dieses Zitat, weil ich denke, dass man Poesie nur mit Poesie beikommen kann, sonst wird sie irgendwie klein und häßlich. Ich hatte nach dem Lesen des Textes den Eindruck, dass dieses Buch unter das Rauschmittel Poesie fällt.

LV: Marcel Schwob wurde 1867 geboren und hat bis 1905 gelebt, ein französischer Erzähler, Romancier, auch nicht sehr bekannt. Er gehörte zur Pariser Kunstszene während der Zeit des vorvergangenen Fin de siecle. Dort traf er Oscar Wilde, der ihm „Salome“ gewidmet hat. Er gehörte zu dem Kreis der Pariser Salons: Massenet, Sarah Bernhardt, Rodin. Sein Werk ist geprägt von der Zeit, einerseits von Nietzsche, andererseits von einer gewissen Untergangsstimmung, die ja in der Zeit mitschwang.

KG: Ich vermute oder spekuliere, dass Schwob zu seiner Zeit eine Art literarische Vorbild- oder Vorreiterrolle gehabt und sowohl auf die Autoren seiner Zeit, als auch auf nachfolgende, vor allem französische Autorengenerationen, starken Einfluss ausgeübt, sie sehr geprägt hat. Ich weiß, dass Andre Gide und Breton sich auf Schwob bezogen haben. Nur ist Schwob ja relativ jung verstorben und ihn hat wahrscheinlich das Schicksal vieler Vorreiter dieser Art ereilt. Sie selber sind mehr oder minder in Vergessenheit geraten und ihre „Schüler“ … die liest man heute noch.

LV: Nun ist das Buch ja mehr als einhundert Jahre alt. Haben Sie so etwas wie eine Gegenwärtigkeit darin verspürt?

KG: Das zielt auf die Frage, warum man diesen Text als Hörspieltext benutzt. Das hat für mich mit besagtem Baudelaire-Zitat zu tun, also des Berauschens an Poesie. Und dann glaube ich, dass ,,Die Worte der Monelle“ – wie alle großen Poesien – ein zeitloser Text ist, einer, der ein Gespräch über Generationen führt, eine Art Initiation in einem alten Sinne darstellt, den Kelch also anfüllt mit angesammeltem, erfahrenem, erinnertem Wissen über den Urgrund des Seins – und dass dieser Text ein Bekenntnis zum Leben ist, das heißt zum Tod. Und in diesem Sinne ist er natürlich zeitlos und immer aktuell.

LV: Im Text ist sehr viel von Zerstören die Rede. Schwob will auch alte literarisch Formen zerstören, aber mit dem Zerstören meint er mehr.

KG: Dieses Prinzip der Zerstörung zieht sich ja durch das ganze Hörspiel. Wir haben versucht, uns der Struktur des Textes von Schwob anzunähern und einen dem Inhalt entsprechenden Ton zu finden. Aber am Ende einer jeden Passage wird – zumindest formal – dieser Ton wieder gebrochen, was am Ende des Hörspiels in der finalen Zerstörung des geschriebenen Wortes gipfelt. Das, denke ich, ist auch eine Grundhaltung.
Ich meine – und glaube, auch für die Musiker von Sandow sprechen zu können -, dass man sich immer nur „seines eigenen Ruinschuttes“ bedient, die Formen zerstören und seine Werke mit der geringstmöglichen Begeisterung seiner Seele betrachten muß, um es mit Schwob zu sagen. Und um ihn weiter zu zitieren: „Die Worte sind Worte solange sie gesprochen werden, die mumifizierten Worte sind tot und bringen Pest. Höre meine gesprochenen Worte und handle nicht nach meinen geschriebenen Worten. Vergiß mich und ich werde dir wiedergegeben sein.“ Dass Schwob durch diesen brillanten eleganten Schwung es am Ende schafft, den Text vor einer Versteinerung zu bewahren, dass er in diesen Text also einen Virus mit einschleust, um ihn nicht zum Dogma geraten zu lassen, das ist eine ungeheure Aussage.

(Monatszeitschrift RADIO KULTUR, 01/2001)